Marshall-Inseln MiNr. 2 P 1 *
Jeder Sammler träumt davon, aus einer großen Menge vieler, kleiner Werte einen Schatz zu heben. Insbesondere Tütenposten sind für viele Spezialisten reizvoll. Wenn man aber bei einem Gebiet wie den Marshall-Inseln im MICHEL nachschlägt, muss man erkennen, dass die dort gelisteten Werte keine Massenware sind, die man noch zu 100 Stück gebündelt findet. Große Mengen dieser Marken wird man auf einen Schlag also sicherlich nicht mehr finden, aber auch aus schon höherwertigen Stücken lässt sich durchaus ein Spitzenstück „fischen“. Man muss jedoch – wie bei fast jedem Gebiet – auch hier genau hinsehen, um die Rarität zu entdecken.

Im MICHEL-Katalog finden sich unter dem Gebiet Marshall-Inseln nun eine Vielzahl unterschiedlicher Ausgaben. So ist dort von der Jaluit-, der Berliner-, der Urdruck- und der Berner-Ausgabe die Rede. Leider sehen die Werte auf den ersten Blick alle gleich aus, sie weichen oftmals lediglich durch kleinere Farbnuancen oder Aufdruckstärken von einander ab.

Neben diesen oft nur minimalen Abweichungen gibt es einen weiteren Unterschied, der die Sache aber nicht einfacher macht: außer den schon erwähnten Ausgaben gibt es nämlich noch eine Probedruck-Serie aus 1897, die ebenfalls den Aufdruck „Marschall-Inseln“ trägt.

Für die Überdruck-Serien der Krone-/Adler-Ausgabe wurde 1897 und 1899 je eine Serie von Probedrucken von der Reichsdruckerei angefertigt. Während die erste Serie aus einer waagerechten Kombination der Aufdrucke „Deutsch-Neu-Guinea“/„Deutsch-Südwest-Afrika“/„Marschall-Inseln“/„Togo“/„Kamerun“ in DIAGONALER Stellung besteht, handelt es sich bei der zweiten Serie um 10er-Blöcke mit STEILEN Aufdrucken (1. Reihe: „Deutsch-Neu-Guinea“/„Deutsch-Südwestafrika“/„Samoa“/„Marshall-Inseln“ – Schreibweise jetzt ohne „c“! – und „Karolinen“ und 2. Reihe: „Deutsch-Ostafrika“/„Togo“/„Kamerun“/„China“/„Marianen“) (Abb. 1).

Das wenige, was über diese beiden Serien heute bekannt ist, stammt im wesentlichen aus dem „Friedemann-Wittmann“ (1). Diese Quelle spricht bei der ersten Serie von ein oder zwei Bogen, die überdruckt wurden, während es sich bei der zweiten Serie nicht um ganze Bogen, sondern nur um Bogenteile gehandelt haben soll – in beiden Fällen sollen aber alle Wertstufen überdruckt worden sein.
Während die erste Serie in der Tat „häufiger“ am Markt zu finden ist (dem Autor sind je eine Handvoll (Teil-)Serien ohne 25 Pf bzw. mit 25 Pf bekannt, dabei die Kombination „Togo“/„Kamerun“ interessanterweise ohne, die andere Kombination fast immer mit der 25 Pf!), ist von der zweiten Serie bisher nur eine Garnitur (hier allerdings ohne 25 Pf) sowie je ein Block der Wertstufen zu 3, 5 und 10 Pf bekannt geworden – wie die „komplette“ Serie ebenfalls als Blockstücke aus der linken, oberen Bogenecke. Der Hinweis aus (1), beim Los 2207 der 24. Wittmann-Auktion sei noch eine Serie mit ZS versteigert worden, bezieht sich leider auf die erste Serie der Probedrucke!
Im Verhältnis zu den angeblich überdruckten Mengen also jeweils ein klägliches Ergebnis!

Doch zurück zur ersten Serie, die bis heute merkwürdigerweise nicht in kompletten Fünferstreifen, sondern nur in linken und rechten Paaren – mit den Aufdruck-Kombinationen „Deutsch-Neu-Guinea“/„Deutsch-Südwest-Afrika“ (Abb. 2) und „Togo“/„Kamerun“ (Abb. 3) – bekannt geworden ist. Angesichts dieser Tatsache drängen sich folgende Fragen auf: Warum wurden diese Einheiten zerteilt – und wer hat diese Teilung wann vorgenommen? Doch damit nicht genug: Die Serien der Paare finden sich wie bereits erwähnt zur Hälfte ohne den 25 Pf-Wert. Warum? Und wo sind all die Werte der Marschall-Inseln geblieben, die ja als Einzelwerte übrig geblieben sein müssen?
Die These, die „Teilung“ sei bereits in der Reichsdruckerei vorgenommen worden, da sie alle bekannten Einheiten gleichermaßen betrifft, hat zwar sicher einiges für sich, die eigentliche Frage nach dem Warum – ganz abgesehen von den anderen noch offenen Fragen – bleibt aber auch weiterhin unbeantwortet.

Dass die Werte der Marshall-Inseln im Markt „untergegangen“ sein könnten, erscheint zwar schwer nachvollziehbar, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Denn genau ein solcher Probedruck – zu 5 Pf (Abb. 4) – wurde dem Autor vor einigen Wochen zur Prüfung vorgelegt. Auf den ersten Blick erschien der Wert lediglich „ungewöhnlich“, ohne das der Grund hierfür sofort erkennbar gewesen wäre. Aber bei der zweiten Betrachtung war klar, dass dies an der diagonalen Aufdruckstellung lag. Dass ein Altmeister der Philatelie, der bis in die 70er-Jahre vor allem Klassik prüfte, diesen Wert als normale MiNr. 2 II signierte, beweist schon, wie leicht man diese Besonderheit (ohne anhängende Nachbarmarken von DSWA oder Togo) übersehen kann.

Wie aber prüft man jetzt ein derartiges Stück? Weitere Belege dieser Art waren weder in der Registratur noch bei Kollegen zu finden – wenn man von einem Stück der MiNr. 1 I in der a-Farbe (also „hellockerbraun“ - einer Farbe, die bei den bekannten Probe- oder Bernerdrucken allerdings nicht vorkommt) einmal absieht (Hobby-Höflich 1995, mit FA Georg Bühler).
Den Aufdruckwinkel der anderen Landesnamen dieser Serie auszumessen, war zwar eine logische Option, allerdings führte dies nur bedingt weiter, da diese alle etwas unterschiedlich gesetzt sind (vgl. die Angabe des jeweiligen Winkels unterhalb der Marken), lediglich die Aufdruckstellung von „Kamerun“ ergab einen ähnlichen Wert.
Glücklicherweise konnte der Aufdruck mit vier Stücken mit diagonalem Aufdruck verglichen werden, die sich im Besitz des Autors befinden (Abb. 5). Diese Stücke, die teilweise das Prüfzeichen „Grobe“ tragen, zeigen untereinander und im Vergleich zum vorgelegten Einzelstück keinerlei Abweichungen. Es handelt sich zudem um dieselben Schrifttypen der normalen Schalterausgabe – wenn auch in minimal abweichender und etwas längerer Setzung. Des weiteren fallen diese – ähnlich den zeitnah hergestellten Berner Aufdrucken – etwas fetter aus, da sie leicht überfärbt sind, und zeigen allesamt die gleiche tiefschwarze, glänzende Farbe.

Damit war – nach Ansicht des Autors – ausreichend nachgewiesen, dass es sich bei dem Stück nur um ein Exemplar der ersten Probedruck-Serie handeln kann. Wenn allerdings nach über 100 Jahren bisher nur eine Handvoll Stücke bekannt geworden sind, ist fraglich, ob noch viele weitere Stücke auftauchen. Aber ein genauerer Blick in die eigene Sammlung kann zumindest nicht schaden ...

Literatur:
Albert Friedemann/Dr. Heinrich Wittmann: Die Postwertzeichen und Entwertungen der deutschen Postanstalten in den Schutzgebieten und im Ausland, München 1988, 4., verbesserte Auflage, S. 91 f.)

(Der Artikel ist in „Berliner Protokolle“ Nr. 103, Februar 2010 erschienen.)


Nachtrag (April 2012)
Nachdem ein weiterer großer Teil deutscher Auktionen der Jahre seit 1900 ausgewertet werden konnten, lassen sich zwei weitere Sätze mit diagonalem Aufdruck „Marschall-Inseln“ nachweisen. Während der erste Satz bereits im Jahre 1941 (54. Borek-Auktion) angeboten wurde, kam der zweite (nicht vollständige) Satz Mitte der 60er-Jahre (140. Bühler-Auktion) und erneut Anfang dieses Jahrhunderts (82. Württembergisches Auktionshaus) wieder zum Angebot. Trotz allem noch immer ein „mageres“ Ergebnis!

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