Altes und Neues von seitwärts stark verschobenen Aufdrucken
Aufdruckbesonderheiten bei den Deutschen Auslandspostämtern und Kolonien lassen sich in zwei Kategorien einteilen: beschädigte und stark verschobene Auf- und überdrucke. Erstere betreffen einzelne Bogenfelder, letztere komplette Bogen. Dass von den erst genannten Besonderheiten etliche mehr oder weniger starke Abweichungen bekannt sind, ist verständlich, haben sich doch Generationen von Sammlern daran gemacht, die Aufdruck-Platten genauer zu erforschen; verständlich auch deshalb, weil fast alle Plattenfehler in der Regel klein ausfallen und auf den ersten Blick kaum auffallen.
Anders verhält es sich dagegen mit den seitwärts stark verschobenen Aufdrucken: Diese fallen selbst bei einer nur oberflächlichen Kontrolle sofort auf, so dass sie in der Regel vor Verausgabung von der penibel arbeitenden Reichsdruckerei aussortiert worden sind.

Nachstehend ein kleiner Auszug aus § 21 der „Dienstanweisung zur Sicherung des Geschäftsbetriebes bei Anfertigung und Verwaltung geldwerther Papiere in der Reichsdruckerei“ (Berlin 1892), der einen Einblick in die Vorgänge ermöglicht: „Die fertig gestellten geldwerthen Drucksachen werden mit dem dazu gehörigen Ausschusse seitens des zuletzt betheiligten Faktors oder Werkführers an diejenigen Geschäftsstellen der Reichsdruckerei abgeliefert, welchen die Prüfung und Verpackung der geldwerthen Papiere übertragen ist. Die bezeichneten Stellen - Prüfungsstellen - haben den Empfang in dem Arbeitsbuche des Werkführers zu bescheinigen. (...) Diesen (drei verschiedenen - Anmerk. d. Autors) Prüfungsstellen, welche dem Betriebs-Inspector unterstellt und mit mindestens je zwei Revisoren besetzt sind, liegt die Prüfung der fertig gestellten geldwerthen Drucksachen in Bezug auf die Vollzähligkeit, Güte und Brauchbarkeit derselben ob. (...) Die Revisoren haben nach Aussonderung etwaiger nicht ganz probemäßig befundener Stücke, welche zu dem Ausschusse zu legen sind, die guten Bogen oder Stücke zu denjenigen Mengen abzuzählen, welche je besonders verpackt werden sollen. Das Prüfungs- und Verpackungsgeschäft ist in der Weise geregelt, daß erst der eine und dann der andere Revisor die zu verpackende Menge zählt und daß demnächst entweder der eine im Beisein des anderen die Menge verpackt, oder daß eine dritte Person unter den Augen beider Revisoren die Verpackung besorgt.“

Trotz dieser Kontrollmaßnahmen sind Bogen mit seitwärts stark verschobenen Aufdrucken ausgeliefert worden. Bisher sind insgesamt acht Fälle - DPChina MICHEL Nr. 30 und 31, DP Marokko, MICHEL Nr. 23 und 37, DP Türkei, MICHEL Nr. 8, 36, 37 und 41 (Abb. 1) - nachgewiesen und entsprechend katalogisiert. Während das einzige bisher bekannte Exemplar der DP Marokko, MICHEL Nr. 23 I erst vor kurzer Zeit aufgetaucht ist, kennt man Belegstücke der DP Türkei, MICHEL Nr. 41 I - III bereits seit Jahrzehnten. Von letztgenannter Marke ist im Dezember 1908 in Smyrna ein kompletter Bogen über den Schalter verkauft und zum Teil vor Ort verbraucht worden. Der größere Restbestand - ein Bogenteil von immerhin 45 Werten wird in den von Albert Friedemann herausgegebenen „Philatelistischen Berichten“ (1909, S. 445) abgebildet - kommt vermutlich komplett in die Hände von Philipp Kosack, der weitere Stücke Ende 1909 auf an sich selbst adressierten Vordruck-Briefen verklebt.
Trotz der 100 Exemplare, von denen der größte Teil noch erhalten sein dürfte, werden diese Aufdruckverschiebungen im MICHEL-Katalog sehr hoch bewertet, im Gegensatz zu anderen Werten, von denen die gleiche Stückzahl bekannt ist - so wertet zum Beispiel die DP Marokko MICHEL Nr. VII in ungebrauchter Erhaltung nur 1500,- MEuro bzw. in postfrischer Erhaltung nur 3500,- MEuro. Dies dürfte zwar an der - im Unterschied zu einer Marke mit Aufdruckverschiebung - weniger spektakulären Erscheinung liegen. Allerdings ist erstaunlich, dass der Markt bei den anderen seitwärts stark verschobenen Aufdrucken keine auch nur annähernd so hohen Preise - zumindest bisher - bewilligt hat.

Während der Bogen mit der MICHEL Nr. 41 I - III offensichtlich von einem Sammler „gerettet“ wurde, kann man dies für die anderen, bekannten Aufdruckverschiebungen angesichts der oft nur geringen Mengen leider nicht annehmen. Die meisten Exemplare dürften den üblichen Weg durchlaufen haben, der in aller Regel im Papierkorb endete.
Aufgrund des Türkei-Bogens erfolgte nun die katalogmäßige Erfassung der unterschiedlichen Erscheinungsformen des Aufdrucks. Der MICHEL gibt neben der üblichen Abart I („2 2 Piaster“) noch zwei weitere an, die die erste bzw. letzte senkrechte Reihe des Bogens betreffen: Abart II: „2“ (vom rechten Rand) (Abb. 2) und Abart III: „2 2 Piaster“ und anhängender linker Bogenrand mit Aufdruck „2 Piaster“ (Abb. 3). Von der Systematik her müsste man die Abart III zwar streichen - denn würde man den Bogenrand abtrennen, läge nur noch die „normale“ Abart I vor - aufgrund der jahrzehntelangen Praxis ist davon aber Abstand genommen worden.
Konsequenterweise müssten diese Abweichungen, die auch bei den anderen MICHEL Nr. vorkommen, nun ebenfalls im MICHEL aufgeführt werden. Bedenkt man jedoch, dass von zwei Aufdruck-Abarten - DP China, MICHEL Nr. 30 und 31 - zu allem überfluss auch noch zwei verschiedene Formen der Verschiebung bekannt sind - einerseits eine starke Verschiebung nach RECHTS (Abb. 1), andererseits aber auch eine starke Verschiebung nach LINKS (Abb. 4) - so dürfte nachvollziehbar sein, dass eine gewisse Beschränkung in der Katalogisierung vorgenommen werden muss. Ein Katalog kann - gerade angesichts der insgesamt nur geringen Anzahl an Belegexemplaren - nur die tatsächlich vorgelegten Marken aufnehmen und muss - um eine Unübersichtlichkeit bei Variationen zu verhindern - zusammenfassend katalogisieren.

Neben den bereits genannten und abgebildeten Aufdruck-Verschiebungen ist eine solche auch von der DP Türkei MICHEL Nr. 6 bekannt, das Illustrierte Briefmarken-Journal meldet diese Abart sogar schon 1912 (S. 592). Dass sie im aktuellen MICHEL nicht aufgeführt ist, hat einen einfachen Grund: Bis heute ist kein Stück in Abbildung bekannt geworden! Die Nichtaufnahme in den MICHEL-Neusatz der Deutschen Kolonien 2006 ist zwar verschiedentlich kritisiert worden, es war aber unter den Sachbearbeitern unumstritten, dass Stücke, die die Literatur nur vom Hörensagen kennt, im Rahmen der Neubearbeitung gerade aus dem Katalog verschwinden sollten!

Dass es sich bei dieser Aufdruckverschiebung dennoch nicht um ein solches „Gespenst“ handelt, kann mit dem vor kurzem aufgetauchten, ersten Stück mit seitwärts stark verschobenem Aufdruck (Abb. 5) nun endlich nachgewiesen werden.

Wenn man die Marke das erst Mal sieht, ist man von der Verschiebung erst einmal irritiert, da im rechten Markenteil der vermutete Ansatz des Wertaufdrucks „10“ der Nachbarmarke nicht erkennbar ist. Dies wirft - insbesondere im Vergleich zu den teils deutlich stärker ausgeprägten anderen Aufdruck-Verschiebungen - automatisch die Frage auf, wie stark ein Aufdruck verschoben sein muss, um als „stark verschoben“ eingestuft zu werden. Dass eine Angabe wie „3 mm nach links verschoben“ oder „mind. 4 mm stark verschoben“ unpraktikabel ist, dürfte angesichts der Tatsache, dass die Aufdruck-Abstände mit denen der Marken-Abstände im Bogen nicht identisch sind - was bereits innerhalb eines normalen Bogens zu leichten Verschiebungen führt - einleuchtend sein. Auch der Vorschlag von Ernst Einfeldt zwischen „stark“ („Aufdruckteile vom Nebenaufdruck zeigen sich auf den seitlichen Markenrändern“) und „sehr stark“ („Aufdruckteile vom Nebenaufdruck befinden sich im Markenfeld“) verschobenen Aufdrucken zu unterscheiden, führt - da es bereits beim Markenbild im Verhältnis zur Zähnung zu teils starken Verschiebungen kommen kann - nicht zu einer eindeutigen Festlegung. Einen „ideal“ mittig platzierten Aufdruck, von dem aus sich die Abweichungen nachmessen ließen, kann es nicht geben. Die einzige Möglichkeit, hier eine klare Abgrenzung zu schaffen, liegt in der Feststellung, dass ein Teil des Aufdrucks sich auf der gegenüberliegenden Seite zeigen muss (mit Ausnahme des linken bzw. rechten senkrechten Zehnerstreifens, neben dem kein weiterer Aufdruck möglich ist). Dieses Kriterium führt zwar dazu, dass auch „unspektakulärere“ Verschiebungen katalogisiert werden, schafft aber eindeutige Klarheit!
Wenn man sich die Marke nun noch einmal genauer ansieht (Abb. 6), so kann man unter dem Stempel auch eine minimale, eckige Stelle erkennen, die als „Fuß“ der „1“ der Wertangabe zu identifizieren ist (Umrisse sind zur Abgrenzung gegen den Stempel punktiert).

Mit diesem Abgrenzungskriterium wären nicht nur die seitwärts, sondern auch die senkrecht stark verschobenen Aufdrucke zu erfassen, von denen bisher allerdings noch keine entsprechenden Belegstücke vorgelegt werden konnten. Es gibt bei den Krone/Adler-Ausgaben mit diagonalem bzw. steilem Landesnamen zwar einzelne Stücke, deren Aufdrucke in der Tat stärker verschoben sind (Abb. 7). Aber auch wenn die Verschiebung des Aufdrucks wegen des Hochformates der Marken teils etwas stärker sein muss als für einen waagerecht verschobenen Aufdruck, muss auch hier eine klare und nachvollziehbare Abgrenzung gelten! Eine bloße Entfernungsangabe jedenfalls ist nicht praktikabel.
Für den Sammler sollten solche überlegungen zur Prüfpraxis allerdings keine Rolle spielen - derartige Verschiebungen sind alles andere als häufig und sollten in jeder Sammlung ihren Platz finden, egal, ob sie nun katalogisiert sind oder nicht.

Dass die oben beschriebene DP Türkei MICHEL Nr. 6 mit seitwärts stark verschobenem Aufdruck endlich nachgewiesen werden konnte, ist eigentlich schon „Sensation“ genug. Es wurde aber kurz darauf noch ein weiteres Belegstück mit einem stark verschobenen Aufdruck vorgelegt: ein ungebrauchter Wert der MICHEL Nr. 32 B der DP Marokko (Abb. 8).

Die Prüfung des Aufdrucks aufgrund seiner Pigmentstruktur sowie seiner Abmessungen ergab keinerlei Abweichungen gegenüber echten Vergleichsstücken. Da die oben genannten und von jedermann nachprüfbaren Kriterien erfüllt sind (Abb. 9), handelt es sich ebenfalls um einen Wert mit „seitwärts stark verschobenem Aufdruck“, der auch im nächsten MICHEL-Katalog entsprechend katalogisiert werden wird. Dass es sich hier um den ersten Markwert handelt, ist auffällig! Dies mag an der einfachen „statistischen“ Tatsache liegen, dass im Verhältnis zu den Pfennig-Werten erheblich weniger Markwerte überdruckt wurden. Eine Erklärung könnte aber auch sein, dass die Bögen der Markwerte aufgrund des hohen Nominalwertes bei den jeweiligen Kontrollen genauer überprüft wurden.

Man darf gespannt sein, ob sich noch weitere Exemplare dieser beiden Abarten oder gar noch weitere Katalognummern mit „seitwärts stark verschobenen Aufdrucken“ werden finden lassen.

(Der Artikel erschien 2008 in „Berichte für Kolonialbriefmarkensammler“, Nr. 126, S. 3619 ff., sowie in gekürzter bzw. veränderter Fassung in „Deutsche Briefmarken-Zeitung“, Heft 24, S. 33 f.)


Nachtrag I
Vor wenigen Wochen legte schließlich ein Sammler ein Exemplar einer MICHEL Nr. 42 x der DP Türkei mit stark verschobenem Aufdruck vor (Abb. 10). Auch dieses Stück bestand alle Prüfungen. Man darf gespannt sein, ob weitere Exemplare der drei „Neuentdeckungen“ oder ob gar weitere, bisher noch nicht bekannte Marken mit „seitwärts stark verschobenem Aufdruck“ auftauchen.

Nachtrag II (April 2012)
Nachdem ein weiterer großer Teil deutscher Auktionen der Jahre seit 1900 ausgewertet werden konnten, lässt sich ein neues Stück mit stark verschobenem Aufdruck nachweisen: Deutsche Post in China, MiNr. 2 II AF I (Abb. 11), welches bereits 1994 auf einer Auktion (17. Wolff-Auktion) angeboten wurde.
Als zweites, bisher unbekanntes Stück wurde vor kurzem ein Wert Deutsch-Südwestafrika, MiNr. 10 AF I in ungebrauchter Erhaltung zur Prüfung vorgelegt (Abb. 12), der Rücken des „a“ ist noch deutlich zu erkennen (Abb. 13).

Nachtrag III (Juni 2012)

Kaum sind zwei weitere „stark verschobene Aufdrucke“ entdeckt und im neuen MICHEL aufgenommen worden, wird erneut ein Exemplar zur Prüfung vorgelegt. Dieses Mal handelt es sich um einen Wert der Deutschen Post in der Türkei, MiNr. 38 b (Abb. 14). Die Verschiebung ist auf den ersten Blick zwar schon deutlich zu erkennen, aber die Gewissheit bringt erst der Nachweis eines Teils des Aufdrucks der Nachbarmarke auf der gegenüber liegenden Seite (Abb. 15).
Dass auch diese Verschiebung nicht so spektakulär wie die auf der DPTürkei, MiNr. 41 I – III ist, ist offensichtlich! Es bleibt ohnehin festzuhalten, dass die ersten, bereits kurze Zeit nach Verausgabung entdeckten Aufdruckverschiebungen sehr deutlich ausfallen. Während die Verschiebungen der Aufdrucke, die – sozusagen in einer zweiten Welle – in den folgenden Jahr(zehnt)en entdeckt wurden, schon nicht mehr so stark ausfallen.
Und bei den Stücken, die erst in den letzten Jahren vorgelegt worden sind, muss man schon genau hinsehen – für die Prognose, dass auch weitere Neuentdeckungen wohl nur noch geringe Verschiebungen zeigen, muss man sicher kein Prophet sein.

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