Geprüft und trotzdem nicht in Ordnung
Manch aufmerksamer Leser der „philatelie“ mag sich noch dunkel an die Warnmeldung über eine gebrauchte Deutsch-Ostafrika, MICHEL Nr. 38 Ab (1 Rupie mit Wasserzeichen), erinnern, die in Heft 343 vom Januar 2006 gebracht wurde. Zur Auffrischung der Erinnerung seien die Fakten noch einmal kurz wiederholt.
Das im genannten Heft auf den S. 70/71 vorgestellte Stück wurde dem Verfasser dieser Zeilen Mitte Oktober 2005 zur Prüfung vorgelegt. Anhand der Prüfunterlagen ließ sich belegen, dass die Marke bereits im Jahre 1989 vom damaligen Verbandsprüfer Siebentritt attestiert, die Prüfung aber kurze Zeit später widerrufen worden ist, was im Nachgang zu einigen Auseinandersetzungen führte. Aus juristischen Gründen konnte das Stück bei der erneuten Vorlage bedauerlicherweise nicht mit der Kennzeichnung „Stempel falsch“ versehen werden. Als die Marke jedoch nur wenige Tage später mit dem erwähnten Attest bei ebay zum Verkauf stand, musste umgehend gehandelt werden. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Sammler Deutscher Kolonialpostwertzeichen, Thomas Knell, wandte sich - ausgestattet mit sämtlichen Informationen aus den Prüfunterlagen - an den Anbieter sowie an ebay und sorgte dafür, dass das Stück zurück gezogen wurde.
über diese erfolgreiche Intervention ist auch in anderen Periodika berichtet worden (z.B. APHV-magazin Nr. 12, 2005). Nicht zuletzt dieser Vorgang hat dazu geführt, dass von ebay für dort angebotene Briefmarken ein Fälschungsmeldesystem eingeführt wurde. Darüber hinaus ist geplant, durch die Einführung bestimmter Pflichtangaben den Anbieter zukünftig auf eine korrekte Artikelbeschreibung festzulegen. Unseriösen Anbietern dürfte es damit bald schwerer fallen, derartige Stücke bei ebay zu „entsorgen“!
Leider hat der ganze Aufwand nicht verhindern können, dass erneut versucht wurde, das obige Stück im Markt unter zu bringen. Es sollte im März dieses Jahres bei der amerikanischen Auktion Cherrystone, New York verkauft werden - glücklicherweise konnte durch Herrn Dr. Reiners, Mitglied des Vorstandes der ArGe, auch dieser Versuch verhindert werden: Das Los wurde umgehend zurück gezogen.

Dieser kleine Exkurs zeigt bereits, wie schwierig es ist, geprüfte Stücke, die heute als „FALSCH“ eingestuft werden müssen, aus dem Markt zu bekommen. Der nachfolgende Artikel stellt ein weiteres Stück vor - auch hier war es dem Verfasser aus juristischen Gründen nicht möglich, ein entsprechendes Prüfzeichen anzubringen. Dass auch dieses Stück seit längerem bekannt ist - in den Veröffentlichungen der ArGe ist darauf schon hingewiesen worden -, macht die Sache nicht einfacher. Denn obwohl schon nach dem ersten (rückabgewickelten) Verkauf auf einer Auktion im Jahre 1988 bekannt war, dass es sich um keine ordnungsgemäße Verwendung handelt, wurde der Beleg seit diesem Zeitraum mehrfach angeboten - was schon vor Jahren zu einer Anzeige wegen Betruges führte.
Um diese Versuche weit gehend unmöglich zu machen, sollen die folgenden Ausführungen eine breiter angelegte Warnung bringen, um mögliche Interessenten vor einem Schaden zu bewahren. Darüber hinaus sollen sie auch zeigen, mit welchen Prüfmethoden der Nachweis einer (Ver-)Fälschung heute erbracht werden kann.

Bei dem fraglichen Stück handelt es sich um eine MICHEL Nr. 1 I b der Deutschen Post in China auf Brief, die immerhin die „Kleinigkeit“ von 50.000,- MICHEL-Euro steht. Wenn man bedenkt, dass es sich um eine prominente und seltene Marke handelt, von der nur etwa ein halbes Dutzend (meist überfrankierter) Ganzstücke bekannt ist, so erscheint dieser Preis durchaus gerechtfertigt - selbst die lose Marke notiert bereits mit 30.000,- MEuro. Die bisher bei der losen Marke gebrachte Anmerkung, dass der Preis nur für Stücke mit dem kleinen „Shanghai“-Stempel aus 1898 gelte, dagegen „spätere und andere Entwertungen bis zu 50 % billiger!“ zu bewerten seien, ist vernünftigerweise im Zuge der Neubearbeitung des Kolonialteils im MICHEL-Spezial 2006 gestrichen worden. Dieser Hinweis war seit seiner Einführung umstritten, da er die Mengenverhältnisse ignorierte: Im Verhältnis zu den erstgenannten Abstempelungen („Shanghai“ aus 1898) sind die anderen Entwertungen sogar etwas seltener. Die zur Begründung der Abwertung heran gezogene Feststellung, dass nur diese Stempel im wesentlichen als „philatelistisch“ zu bewerten seien, kann kaum greifen. Denn ein eindeutig bedarfsmäßiger Gebrauch dieser Wertstufe in Shanghai aus 1898, der nur auf einer Inlandsdrucksache möglich wäre, konnte bisher ebenfalls noch nicht vorgelegt werden. Es bleibt zwar festzustellen, dass die Stücke aus 1898 zumindest über den Postschalter verkauft wurden, während die späteren Stücke im wesentlichen aus Deutschland kamen und vor Ort nur eingeliefert wurden. Jedoch macht zum Beispiel die Prüfordnung bei zeitgerecht entwerteten Stücken sinnvollerweise keine derartigen Unterschiede. Und auch jedem Sammler sollte es selbst überlassen bleiben, für welche Entwertung er sich entscheidet und wie viel seines Geld ihm diese wert ist.

Doch nun konkret zum eigentlichen Gegenstand des Artikels: Eine MICHEL Nr. 1 I b mit Entwertung „Tientsin 22/2 02“ auf Brief nach Erfurt, der zusätzlich mit einer MICHEL Nr. 16 frankiert ist (Abb. 1 und 2). Ausweislich des Ankunftsstempels hat der Brief den Postweg ordnungsgemäß durchlaufen. Diesem Brief liegen ein Attest aus 1946 (!) von Georg Richter, Berlin - einem bekannten Allgemeinprüfer - sowie eine weitere Expertise eines freien Sachverständigen aus 1987 bei.
Wenn man sich das Stück nun genauer ansieht, es auch mit Hilfe neuerer (Prüf-)Technik „durchleuchtet“, so wird mit jeder Untersuchungsphase deutlicher, dass es sich um keine ordnungsgemäß verwendete Rarität handelt.

1.
Der erste Teil der Untersuchung gilt der philatelistischen Überprüfung (Laufweg, Höhe des Frankos, zeitlich korrekte Verwendung von Stempel und Marke etc.). Dem Spezialisten wird bereits zu diesem Zeitpunkt eine Ungereimtheit auffallen: die Höhe des Frankos! Die vorliegende 8 Pf-Frankatur wäre - verglichen mit den üblichen deutschen Portostufen dieser Zeit - entweder über- oder unterfrankiert. Da die Sachlage durch die kriegerischen Auseinandersetzungen im damaligen China - dem sog. Boxer-Aufstand - mit der Einführung eines speziellen Feldpost-Tarifs aber etwas komplizierter ist, muss man schon in der einschlägigen Spezialliteratur nachschlagen: Angehörige der „Ostasiatischen Besatzungsbrigade“ - dieser Zusatz ist im violetten Rahmenstempel auf dem Brief links oben noch schwach zu erkennen - zahlten vom 1.9.1901 bis 30.6.1906 für einen einfachen Brief nach Deutschland den Inlandstarif von
10 Pf, während für den „zivilen“ Briefverkehr der allgemeine Auslandstarif von 20 Pf galt.

2.
Die zweite „Stufe“ der Prüfung besteht in zwei grundverschiedenen mikroskopischen Untersuchungen. Während die Aufdrucke keine wesentlichen Abweichungen zeigen, ist dies bei den Stempelabschlägen anders. Bereits bei 50facher Vergrößerung unter dem Auflicht-Mikroskop zeigen sich in der Farbstruktur des linken Abschlags deutliche Unterschiede. Die Teile, die auf der MICHEL Nr. 1 I abgeschlagen sind, erscheinen „wässriger“, ihre Konturen aufgelöster und weniger begrenzt. Insbesondere im Übergangsbereich zum Stempelabschlag auf dem Brief zeigen sich die Unterschiede in der Struktur und in ihrer Einfärbung sehr deutlich - diese werden bei stärkerer Vergrößerung immer eindeutiger. Für die zweite mikroskopische Untersuchung wird statt des Auflicht- nun ein Durchlichtmikroskop verwendet. Die Untersuchung der Mikrostruktur des Stempelabschlags bei bis zu 500facher Vergrößerung bringt im vorliegenden Fall allerdings nur annäherungsweise einen Befund, da das Licht in der Regel nur eine Marke, nicht jedoch mehrere Papierschichten in der vollen Leistung durchdringen kann - es sind die Ergebnisse zwar noch ansatzweise zu erkennen, jedoch nicht mehr mittels Kamera ausreichend abzubilden.

3.
Bereits der dritte Teil der Untersuchung - die Überprüfung der Kongruenz des Stempels mit belegbar echten Vergleichsstücken - lässt weitere, schwer wiegende Zweifel an der Echtheit des Stempels auf der MICHEL Nr. 1 I aufkommen. Mittels eines Vergleichsmakroskops (Komparator) wird der in Frage stehende, vergrößerte Stempelabschlag über ein entsprechendes, echtes Vergleichsstück gefahren. Da die beiden Abbilder komplementär (rot/grün) eingefärbt sind, lassen sich bei entsprechender Überlagerung Größenabweichungen sofort farblich erfassen. Dies Verfahren lässt sich zwar auch mit manch einem handelsüblichen Bildbearbeitungsprogramm imitieren, jedoch lässt die Beweiskraft in einem Rechtsstreit sehr zu wünschen übrig, da es sich bei diesen Programmen - im Gegensatz zum Komparator - um keine gerichtlich anerkannten Verfahren handelt. Zur besseren bildlichen Darstellung sei jedoch das Ergebnis einer computergestützten Kongruenz-Überprüfung wiedergegeben (Abb. 3). Es zeigen sich im linken und unteren Bereich keine, im Bereich der Marke jedoch erhebliche Abweichungen im Stempelbild. Auch bei starker Vergrößerung einzelner Details sind diese klar erkennbar und nachweisbar (Abb. 4).

4.
Die Untersuchung wird abgeschlossen durch die Überprüfung des Stempels mittels eines Video-Spektral-Komparators. Dieses Gerät untersucht das Verhalten des Stempels im infraroten Licht sowie dessen Infrarotabsorption und Infrarotlumineszenz bei Einsatz verschiedenster (Wellenlängen-)Filter. Die Abb. 5 zeigt eine derartige Lumineszenz als kleinen „Strahlenkranz“ um den Stern, den Stempelring sowie die einzelnen Buchstaben. Im Gegensatz zum Abschlag auf der MICHEL Nr. 16 sowie den Stempelteilen auf dem Brief zeigt der Stempel im Bereich der MICHEL Nr. 1 I absolut keine Lumineszenz: Es ist offensichtlich, dass diese Marke nicht original auf den Brief gehört! In diesem Bereich wird vormals eine normale MICHEL Nr. 16 gesessen haben - was auch auf das anzunehmde, korrekte Franko von 10 Pf verweisen würde.

Die sonst übliche, letzte Absicherung über eine umfassende Registratur - die des Autors umfasst immerhin weit über 100.000 Einträge ausschließlich hochwertiger Belegstücke - führt in diesem Fall zugegebenermaßen zu keinem „erhellenden“ Ergebnis. Abgesehen davon, dass der Brief zwar bereits Mitte der 40er Jahre geprüft, aber erst im Jahre 1988 auf einer Auktion angeboten wurde, lässt sich der Registratur lediglich entnehmen, dass keine weitere MICHEL Nr. 1 I mit dem Stempel „Tientsin“ bekannt ist. Außer einem überfrankierten Einschreibebrief an das Briefmarkenhaus der Gebr. Senf, Leipzig mit Entwertung „Schanhaikwan 4.3.02“ sowie einem leicht überfrankierten Brief aus Tschifu ist darüber hinaus auch kein weiterer Brief bekannt, auch wenn die Literatur (Friedemann-Berichte S. 2338) - allerdings etwas unverständlich - weitere Einschreibebriefe erwähnt, darunter auch solche aus „Tientsin“.
Aber auch ohne diese „Rückschau“ lässt sich eindeutig nachweisen, dass es sich bei der vorliegenden MICHEL Nr. 1 I b auf Brief um eine nachträglich aufgeklebte Marke mit gemaltem Stempel, also schlicht um eine Montage handelt. Das ein solches Stück nichts mehr mit dem anfangs angeführten Katalogwert von 50.000,- MICHEL-Euro zu tun hat, versteht sich von selbst.
Dieser Fall zeigt, dass sicherlich nicht jede Marke zum wiederholten Male geprüft und attestiert werden muss, dass aber - insbesondere bei hochwertigen Stücken wie im vorliegenden Fall - eine erneute Prüfung durchaus zweckmäßig sein und vor manch unliebsamer Überraschung schützen kann.

(Der Artikel erschien in „APHV-magazin“, 2006, Nr. 5, S. 37 und „Deutsche Briefmarken-Revue“, 2006, Heft 6, S. 14 ff.)

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