Deutsche Post in China - MICHEL Nr. 8 - 14 und I - IV
Die Werte mit Handstempel-Aufdruck „China“, MICHEL Nr. 8 - 14 und I - IV, gehören sicherlich zu den bekanntesten Ausgaben der Deutschen Kolonien und Auslandspostämter. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte der immense Wert sein, mit dem nicht nur ein oder zwei Marken, sondern der Großteil dieser Ausgabe im MICHEL notiert ist. Aber auch der „provisorische“ Charakter dieser „Aushilfsausgabe“ sowie diverse Fälschungsaffären dürften ihren Teil dazu beigetragen haben.

Verwendungszeitraum
Über die historischen Hintergründe ist bereits ausführlich berichtet worden: Aufgrund der Boxer-Unruhen, die Mitte des Jahres 1900 in der Provinz Petschili ausbrechen, werden aus Deutschland große Truppenverbände nach China verschifft und in und um Tientsin stationiert. Trotz der allgemeinen Portofreiheit der Feldpost, die fast 20.000 deutsche Soldaten zu versorgen hat, werden zur Vermeidung von Engpässen vor Ort Marken aus Deutschland geliefert. Statt der Ausgabe Krone/Adler mit Aufdruck „China“ handelt es sich dabei um Bestände an unüberdruckten Germania-Werten der „Reichspost“-Serie (MICHEL Nr. 53 - 66), von denen das zivile Postamt in Tientsin vermutlich aber nur einen kleinen Teil erhält, während der Löwenanteil an die Feldpost geht.
Diese Marken kommen ab Anfang September 1900 zur Verwendung und werden in der ersten Zeit noch unüberdruckt verwendet. Bei der ersten Marke, die in Tientsin mit dem Handstempel überdruckt wird, soll es sich um einen 50 Pf-Wert (MICHEL Nr. 13) handeln. Der in der Literatur nur erwähnte Beleg mit einer Entwertung vom 24.11.1900 gilt bis heute als verschollen.

Die Gründe für einen provisorischen Aufdruck „China“ sind bis heute nicht geklärt. Die gängigste und älteste Erklärung versucht den Aufdruck mit möglichen Valuta-Gewinnen mit dem in China verwendeten schwächeren mexikanischen Silberdollar (im Unterschied zur deutschen Goldmark) zu erklären - was jedoch schon früh in der Literatur auch bestritten wird.

Während aus Dezember 1900 nur noch Verwendungen des 40 Pf-Wertes (MICHEL Nr. II) bekannt sind, kommen im neuen Jahr - anfangs nur vereinzelt vom 3., 5., 7. und 9.1.1901 - weitere Verwendungsdaten hinzu. Das erste ordnungsgemäß durch die Post beförderte Ganzstück mit Ankunftsstempel stammt vom 10.1.1901 (Abb. 1). Mit diesem Datum setzt auch die Hauptverwendungszeit dieser Ausgabe ein - bis etwa Anfang März wird sie fast ausschließlich gebraucht. Danach geht die Verwendung stark zurück: zunächst werden wieder Werte der Deutschen Post in China, MICHEL Nr. 1 - 6 verklebt, später Werte der regulären Überdruck-Serie. Handstempel-Werte kommen dann nur noch vereinzelt auf Sammlerpost vor; das letzte bisher bekannte Verwendungsdatum ist der 10.4.1902.

überdruckte Marken-Bestände
Neben den über den Postschalter verkauften Wertstufen zu 3, 5, 10, 20, 30, 50, 80 (und vermutlich auch 40) Pf sowie der Ganzsache zu 10 Pf (MICHEL Nr. P 9) kommen auch noch andere Werte und Ganzsachen vor, deren Entstehung jedoch auf Sammlerwünsche zurück zu führen ist: je ein Wert ungebraucht und gebraucht vom 2 und 3 M-Wert (MICHEL Nr. III und IV, Abb. 2) sowie Ganzsachen zu 2 und 5 Pf. Bei den 25 Pf-Werten (MICHEL Nr. I) handelt es sich dagegen um mit dem originalen Handstempel in Berlin für Zwecke des Reichspostamtes angefertigte Muster.

Über die Auflagenhöhe liegen keine amtlichen Erhebungen vor, Schätzungen lassen sich anhand von unterscheidbaren Abbildungen aus Auktionskatalogen leider nur für die Höchstwerte durchführen. Die Auflage der MICHEL Nr. 12 und 14 dürfte bei etwa je 800, die der MICHEL Nr. 13 bei etwa 400 Exemplaren liegen.

Der Handstempel und seine Besonderheiten
Wenn man den Handstempel, der von einem Chinesen aus hartem Schwarzholz geschnitzt worden sein soll und der heute im Museum für Kommunikation in Berlin liegt, das erste Mal sieht, ist man von seiner Größe erstaunt: ein „Handstempelchen“ von kaum mehr als 5 cm Höhe.

Nachdem in Berlin bekannt wird, dass man bei der deutschen Post in China ohne Genehmigung Marken mit einem Aufdruck versieht, ergeht Verfügung, dies sofort einzustellen und den Stempel umgehend an das Reichspostamt zu senden. Der Stempel wird daraufhin am 11.4.1901 über Shanghai nach Berlin gesandt.
Mit der Rücksendung des Stempels ist klar, dass der Großteil der Sammler in Deutschland leer ausgehen wird. Was die Nachfrage umso weiter antreibt und dazu führt, dass im Nachhinein im Postmuseum sowohl zeitnah als auch in späterer Zeit mit dem Originalstempel Marken überdruckt werden!

Der Handstempel wird analog zu den Werten MICHEL Nr. 1 - 6 mehr oder weniger diagonal angebracht, es kommen jedoch auch Ausnahmen vor (Abb. 3), von denen die S- oder K-Drucke die spektakulärsten sind (Abb. 4); zu nennen sind weiterhin die ebenfalls seltenen Doppeldrucke.

Entwertungen und Sorte II
Die Marken werden in Tientsin zwar überdruckt, jedoch auch in Tongku (ca. 40 km entfernt), Peking (ca. 100 km entfernt), bei der Feldpostexpedition sowie den meisten Feldpost-Stationen gebraucht.
Trotzdem der Großteil der Marken - etwa 80 - 90 % - mit dem Stempel „Tientsin“ entwertet wird, sind hinsichtlich der Wertigkeit dieser Abstempelung doch Unterschiede zu machen. Insbesondere die beiden Daten vom 1.1. (Neujahr) und 27.1. (Kaisers Geburtstag) - auf ausschließlich schönen Briefstücken mit sauberen Stempeln - werden zur so genannten Sorte II (echter Stempel mit verändertem, nicht zeitgerechtem Datum, jedoch innerhalb der Kursgültigkeit der Marken angebracht) gezählt. Vom 1.1. liegen allein drei unterschiedliche Datumseinstellungen vor („1/1“, „1 1“ und „1/1“ mit kurzem Trennstrich, Abb. 5), was schon nicht logisch zu erklären ist. Da bisher aber auch keine ordnungsgemäß durch die Post beförderten Ganzstücke mit diesem Datum bekannt sind und die bekannten allesamt einen manipulierten Ankunftsstempel tragen, ist davon auszugehen, dass die Entwertungen nicht zeitgerecht angebracht worden sind.

Neben diesem Datum ist es vor allem der 27.1., von dem zwei Stempel-Einstellungen nachgewiesen sind. Während die üblicherweise vorkommenden Briefstücke der Sorte II keinen Mittelstrich zwischen Tages- und Monatsangabe zeigen, kann anhand des einzigen bisher bekannten und erst vor kurzem verkauften Beleges nachgewiesen werden, dass zeitgerechte Entwertungen einen Mittelstrich zeigen müssen (Abb. 6 und 7, 100. Württembergisches Auktionshaus, 2007). Das Gleiche gilt für Abstempelungen vom 7. und 22.1.: Bedarfsstücke zeigen auch bei diesen Daten einen Mittelstrich!

Es zeigt sich somit, dass bei dieser Ausgabe nicht nur Aufdrucke später in Berlin, sondern schon Entwertungen vor Ort „für Sammler“ angefertigt wurden. Bedenkt man dann noch, dass vor allem ordnungsgemäß durch die Post gelaufene Ganzstücke - auch als Sammlerpost - durchweg selten sind, ist es verständlich, dass die Handstempel-Ausgabe auch international einen besonderen Ruf genießt!
(Der Artikel erschien als Teil VI der Serie „Deutsche Post in China“ in „Deutsche Briefmarken-Revue“, Heft 6, S. 29 f., 2008)

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